von Torsten Weiler, Reinhard Strüven, Hakkı Çimen & Sabine Neupert und Wilhelm Rennebaum
Ein wenig sind wir doch immer wieder aufs Neue überrascht, wie produktiv die Literaturszene am Niederrhein ist. Auch wenn wir leider nicht alle Bücher rezensieren können, wollen wir Sie aber wenigstens über möglichst viele der Neuerscheinungen informieren. Hier darum ein kurzer Überblick zu vier Romanen und Kurzgeschichtenbänden, die in den letzten Monaten den Weg zu uns gefunden haben. Auf dem Bord: ein Gegenwartsroman, ein historischer Roman, traditionelle Märchen und zeitgenössische Kurzgeschichten.
Torsten Weiler: Der Seidenweber. Historischer Roman vom Niederrhein
Während Torsten Weiler, in Krefeld aufgewachsen und seit vielen Jahren als Journalist beim WDR tätig, zu seiner Familiengeschichte recherchierte, kam ihm die Idee zu seinem ersten Roman. „Der Seidenweber" spielt im 19. Jahrhundert, als die Seidenindustrie Krefeld zu einer reichen Stadt machte.
Die Hauptfigur Gustav Puller, Sohn eines Bäckers, träumt davon, Seidenweber zu werden. Sein Weg führt ihn durch eine von Gewalt, Armut und Revolten geprägte Stadt, in der er sich in eine geheimnisvolle Frau verliebt. Ein Familienrätsel um die späte Heirat von Gustavs Eltern durchzieht die Handlung.
Wer über eine Romanlektüre gerne in geschichtliche Zusammenhänge eintaucht und erfahren will, wie die großen und kleinen gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklungen das Leben in Krefeld zwischen 1820 und 1869 bestimmten, ist mit diesem recherchestarken Buch gut bedient.
Torsten Weiler: Der Seidenweber. Gmeiner Verlag 2024, 400 Seiten, 16,00 Euro (E-Book 11,99 Euro)
Reinhard Strüven: Haus Elbblick. Roman
Reinhard Strüven, geboren 1966 in Krefeld, bringt in seinen dritten Roman seine Erfahrungen als Altenpfleger und Sozialarbeiter ein. „Haus Elbblick" erzählt die Geschichte von Clemens Kleine, einem desillusionierten Altenpfleger Anfang vierzig, der in Hamburg ein marodes Seniorenheim übernimmt und es unter Aktivierung der vielfältigen Kompetenzen seiner Bewohner:innen zukunftsfähig machen will.
Dann jedoch betritt ein Investor die Szenerie, dem schon das Nachbargrundstück gehört. Unter Einbeziehung des wertvollen Grundstücks von Haus Elbblick will er eine profitorientierte Seniorenresidenz errichten, und dafür müsste Kleines Heim geschleift werden. Kleine lässt sich zu einem Bordellbesuch überreden und begreift, dass er bestochen werden soll. Gemeinsam mit seinen Senior:innen macht er sich daran, die Baumaßnahmen durch Umsorgung der Bauarbeiter zu sabotieren. Parallel dazu erzählt der Roman von Kleines Bestrebungen, aus einer eher ungeklärten Beziehung eine glückliche Familie zu formen.
Reinhard Strüven: Haus Elbblick. Roman. Engelsdorfer Verlag Leipzig 2025, 152 Seiten, 11,80 Euro
Hakkı Çimen & Sabine Neupert: Und immer noch weinen die Lehmziegel. Zazaische Märchen
Hakkı Çimen ist wie Strüven schon seit den frühen neunziger Jahren fester Bestandteil der Krefelder Literaturszene. Er wurde 1957 als Mitglied der zazaischen Bevölkerung in Ostanatolien geboren und ist bis heute der einzige Schullehrer für Zazaisch in NRW. Jetzt hat er gemeinsam mit seiner langjährigen Co-Autorin Sabine Neupert eine Sammlung von zehn zazaischen Märchen vorgelegt.
Fünf davon sind traditionelle Märchen, die Çimen als Kind von seinen Eltern und reisenden Vortragenden hörte und die er nun aus seiner Erinnerung heraus nacherzählt. Die anderen fünf sind neu entstanden und verbinden auf ähnliche Weise Alltag und Fantasie, Traditionen, Redewendungen und Sprichwörter aus dem Zaza-Leben. Wie schon mit seinen früheren Büchern will Hakkı Çimen auch hier eine Kultur bewahren, die, seit vielen Jahrzehnten unterdrückt, außer der mündlichen kaum eine schriftliche Überlieferung mehr kannte.
Zu den Besonderheiten dieser Zusammenstellung zählt der Schreibprozess. Çimen schreibt seine Texte auf Zazaisch und übersetzt sie dann ins Deutsche. Diese Fassung wird von Sabine Neupert, die auch Zeichnungen zu dem Band zusteuerte, bearbeitet, und ihre Version wird wiederum von Çimen finalisiert.
Hakkı Çimen & Sabine Neupert: Und immer noch weinen die Lehmziegel. Verlag für Kultur und Wissenschaft 2025, 194 Seiten, 22 Euro
Wilhelm Rennebaum: „Zeitreisen" – Kurzgeschichten vom Niederrhein
Nach seinen zwei Niederrhein-Romanen „Zeitenwende“ (2016) und „Achterbahn“(2018) legt der mittlerweile 78jährige ehemalige Banker und Anlageberater Wilhelm Rennebaum seinen dritten Kurzgeschichtenband vor.
Die zwölf neuen Kurzgeschichten spielen allesamt am linken Niederrhein und spannen zeitlich und thematisch einen weiten Bogen auf. So findet etwa die hiesige Zeitgeschichte Rennebaums Interesse, wenn er die junge Alma Mahler begleitet, die im Juni 1902 mit ihrem Mann Gustav zur „Tonkünstlerversammlung“ nach Krefeld gereist ist. Hier streitet sie mit dem Gatten über die Piefigkeit der durch und durch bürgerlichen Stadt und erlebt die legendäre Uraufführung seiner 3. Sinfonie mit, die seinen Durchbruch als Komponist bedeutet. Aber auch Gegenwärtiges wird erzählt, etwa die Geschichte von einem promovierten Steuerberater, der sein lukratives Geschäft aufgibt, um als Kioskbetreiber seinem Leben einen neuen Sinn zu geben. Auch in den übrigen Geschichten stehen ungewöhnliche Charaktere vom Hochstapler bis zum Szenegastronomen im Mittelpunkt.
Wilhelm Rennebaum: Zeitreisen. Kurzgeschichten. Shaker Verlag 2024, 186 Seiten, 18,90 Euro
(TH)
