Buchcover Willi Achten Die Einmaligkeit des Lebens

Die Einmaligkeit des Lebens

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Roman von Willi Achten

Es ist von einem großen Roman zu sprechen. Er macht wenig Aufhebens um sich, geradezu unprätentiös tritt er auf. Und doch erzählt er auf gleich mehreren Ebenen vom Wesentlichen. Und zwar sprachlich so feinfühlig und literarisch so hervorragend komponiert, dass er nicht nur während des Lesens berührt, sondern als dauerhafte Erfahrung bleibt. Die Rede ist vom neuen Roman „Die Einmaligkeit des Lebens“ des 1958 in Mönchengladbach geborenen, seit langem in Aachen und Vaals lebenden Schriftstellers Willi Achten.

Darin verbindet sich die autofiktionale Geschichte seines an einem Gehirntumor sterbenden großen Bruders mit einer Erzählung von der Zerstörung der rheinischen Landschaft und sozialen Struktur durch den Braunkohle-Tagebau. Und zwar so schlüssig, dass sich beide gegenseitig erhellen und den Leser:innen jeweils neue Einsichten gewähren.

Zwei Brüder

Erzählt wird aus der Perspektive des Obstbauern Simon. Obwohl nicht nur die meisten Nachbarn, sondern auch selbst die Kirche schon das gewachsene Dorf verlassen haben und in einen neuen, trumanshowartigen Dorf-Klon umgezogen sind, kann sich Simon nicht dazu durchringen, Haus und Plantage an den herrschenden Energiekonzern zu verkaufen. Simon ist nachdenklich, eigenwillig und mutig, wütend und querköpfig im besten Sinne, sicher auch schon etwas müde, einsam und ein bisschen desillusioniert. Aber er hat nach dem frühen Tod seiner Eltern eben immer noch seinen großen Bruder Vinzenz, der schon in ihrer Jugend immer wusste, was wann und wie zu tun war. Oft genug hat er Simon so aus einer der Klemmen gerettet, in die sich der Jüngere hineinmanövrierte.

Zwei Zeitebenen

Es gibt zwei Zeitebenen in diesem Roman. Die eine spielt in der Osterwoche des Jahres 1988, als sich der Schüler Simon in die kluge Martha verliebt, ein bisschen ängstlich, ob sein besonnener und reiferer Bruder und engster Freund nicht doch ein Konkurrent sein könnte. Und dann geschieht ihm in seiner Verliebtheit das Missgeschick, dem Judas im berühmten niederrheinischen Schnitzaltar der Dorfkapelle den Kopf abzubrechen.

Die zweite Zeitebene spielt 2017. Vinzenz ist nur noch selten vor Ort, arbeitet europaweit als Restaurator (eine Berufung, die sich dem lädierten Judas in der heimischen Kapelle verdankt). Als er auf den Hof zurückkehrt, wirkt er verändert und bald stellt sich heraus, dass in seinem Kopf ein Tumor wächst. „Raumforderung“ nennen die Ärzte das, was seine Persönlichkeit und sein Leben allmählich zerstört. Parallel dazu frisst sich die Abbruchkante immer näher an das weitgehend verlassene Dorf heran und die Repräsentanten des Konzerns verlangen Simon eine Entscheidung ab.

Zwei „Raumforderungen“

So ist Simon zeitgleich mit zwei Raumforderungen konfrontiert, die drohen, ihm sowohl seine Heimat und als auch seine zentrale menschliche Sicherungsinstanz zu nehmen. Diese tiefe und man kann nur sagen achtsame und liebevolle Verbindung von Landschaft, Heimat, Leben und Sterben ist an sich schon beeindruckend. Dass der Roman dabei auch noch spannend zu lesen ist, und zwar nicht dank oberflächlicher Effekte, sondern vielmehr aus der Substanz des Erzählten heraus, macht ihn noch empfehlenswerter (wenn das überhaupt zu steigern ist).

Schon für seinen fünften Roman „Die wir liebten“, einer Erzählung der zuchthäuslerischen Strafwelt der Erziehungsheime in den 1970er Jahren, wurde Willi Achten zu Recht sehr gepriesen. Mit „Die Einmaligkeit des Lebens“ aber ist ihm etwas Außergewöhnliches gelungen.

Willi Achten: Die Einmaligkeit des Lebens. Roman. 224 Seiten, Piper Verlag, München 2025.

(TH)

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