Cover von Ulla Lenzes Roman "Das Wohlbefinden"

Das Wohlbefinden

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Roman von Ulla Lenze

In ihrem neuen Roman „Das Wohlbefinden“ lässt Ulla Lenze das Unerforschliche ruhig gelten, schreibt Tilmann Krause in Die Welt. Die Trägerin des Niederrheinischen Literaturpreises 2020 verbindet darin drei Zeitstränge und drei Hauptfiguren.

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Da ist Johanna Schellmann, die als junge bürgerliche Frau in der Kaiserzeit mit ihrer unnachgiebigen Art nicht nur bei ihrem Mann aneckt. In den Beelitzer Arbeiter-Lungenheilstätten trifft sie auf die Fabrikarbeiterin Anna Brenner, die als hellsichtig gilt und möglicherweise von den Toten zurückgekommen ist. Kurzerhand macht sie Anna zu ihrer Assistentin. Annas Fähigkeiten sollen Johanna zum lang ersehnten schriftstellerischen Durchbruch verhelfen.

In den späten 1960er Jahren treibt die gealterte Autorin, deren Werk langsam auf das Abstellgleis geleitet wird, deshalb ein schlechtes Gewissen um. Sie glaubt, Anna zu sehen, und hadert damit, sich ihrem jungen Pfleger anzuvertrauen. 2020 ist es an Johanna Schellmanns Urenkelin Vanessa, die Stränge dieser Geschichte zu entwirren. Hat Johanna Anna ausgenutzt? Oder war es umgekehrt?

In ihrer Unnachgiebigkeit und ihrem Gefühl, etwas Besseres verdient zu haben, ähnelt Vanessa ihrer Urgroßmutter. Gleichzeitig macht der soziale Abstieg, den die Familie Schellmann seit der Kaiserzeit durchlebt, sie empfänglicher für die prekäre Situation Anna Brenners. Diese hatte kaum eine andere Chance, als sich die Identität der Totenbeschwörerin anzueignen, die an sie herangetragen wurde.

Im Wechsel zwischen den Figuren verweigert Lenze einfache Antworten. Sie hält die drei Frauen in ihrem Wunsch nach einem angenehmeren Leben in einer Schwebe zwischen Befreiung und Aufstieg, Bedeutungsverlust, Vereinnahmung und Unterwerfung. Lenzes reduzierte Erzählhaltung fordert die Lesenden: Sie sind angehalten, sich selbst ein Urteil zu bilden, ohne dass moralisch integres Verhalten oder Freundlichkeit einfache Anhaltspunkte bieten.

(MJ)

Ulla Lenze: Das Wohlbefinden. Klett-Cotta, Stuttgart 2024.

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