Roman von Christoph Straßer
Soll man sich über dieses Buch aufregen? Ja, unbedingt! Man darf sich sogar richtig ärgern, aber anders als bei anderen Romanen ist das kein Hinweis auf verschwendete Lesezeit, sondern eine Einladung zu einer vermutlich zunächst heißen, dann hoffentlich produktiven Diskussion.
In seinem neuen Roman „Konform“ widmet sich der in Krefeld aufgewachsene, seit langem in Düsseldorf lebende Autor Christoph Straßer dem ideologischen Kampf um einen je nach Perspektive achtsamen oder „woken“ Umgang innerhalb der Gesellschaft. Es geht also ums Gendern, um non-binäre Personen, politische Korrektheit und die Frage, ob man ohne Widerspruch alle alles sagen lassen darf.
Straßer, der in seinen Independent-Romanen gerne lustvoll in Halb- und Unterwelten eintaucht, wäre nicht Straßer, widmete er sich diesem Stoff in einem bierernsten, differenzierten Diskurs. Stattdessen beginnt die brutalst mögliche Ironie schon im Klappentext mit einer Triggerwarnung („In diesem Roman geschehen grässliche Dinge. Das Buch ist böse, gemein und niederträchtig, aber auch wahnsinnig witzig.“) und Gender-Persiflagen („Christoph Straßer*in lebt und arbeitet in Düsseldorf*innen.“)
Wer das Buch jetzt noch nicht wütend in die Ecke gepfeffert hat, sondern liest, stößt auf eine so freudig perfide wie dramaturgisch geschickte Figurenkonstellation. Kurz gesagt, treffen hier zwei Seiten aufeinander: zum einen eine studentische Generation, die sich bemüht, alles richtig zu sagen und größtmögliche Toleranz walten zu lassen, bei ihrer Konzentration auf die ganz großen Themen aber gleichgültig die Hilfe und Solidarität im direkten Umfeld vergisst.
Die Gegenseite ist zweigeteilt. Zum einen gibt es die Eltern, die da sind, wenn man sie braucht und ihre Kinder nicht selten überbehüten, zum anderen einen Weißer-Kragen-Kriminellen, dessen psychologisch fundierten Manipulationen die Studierenden ebenso vollkommen hilflos ausgeliefert sind, wie seinen unverstellt brachialen Erpressungen.
Konkret geht es um die drei Studierenden Jonas, Ben und Mina, die von Jonas‘ Ex-Lehrer und mittlerweile Social-Media-Unternehmer Steffen auf der Plattform „OnlyFans“ mit Videoclips als Erotikmodels vermarktet werden, ohne dass sie das rechtzeitig genug begreifen.
Auch wenn Straßer eine diebische Freude daran hat, die „Wokeness“ der Jüngeren ins Extremste zu treiben, und auch ihn erkennbar Zorn über eine empfundene Einengung durch „Verbotskultur und alternativlose Wahrheiten“ (Klappentext) antreibt, ist dieser Text doch von einschlägigen platten Wutausbrüchen auf Facebook oder den Jammereien eines Thomas Gottschalk weit entfernt. Und in der Person des mephistophelischen Mackers Steffen wird „toxische Männlichkeit“ in ihrer Gewalttätigkeit und Übergriffigkeit deutlichst ausgestellt.
Es wäre daher wenig ertragreich, wenn sich Leute wie der Rezensent, der selbst zum Beispiel das Gendern für wichtig und non-binäre Identitäten für selbstverständlich hält, damit aufhielten, Straßer Unausgewogenheit oder einzelne etwas linke Erzählertricks vorzuwerfen. (Dass es allerdings tatsächlich keine einzige vom Wokeness-Mainstream abweichende starke jüngere, geschweige denn weibliche Figur ins Buch geschafft hat, soll doch nicht unerwähnt bleiben.)
Interessanter sind vor allem andere Fragen, die das Buch aufwirft: Wann schlägt Achtsamkeit in Fundamentalismus um? Stärkt der Kampf um die Sprache am Ende nicht vor allem die Verschleierung wahrer Machtverhältnisse und bindet Energien, die man zur Veränderung dieser Verhältnisse benötigte? Aber auch: Welch massive Wirksamkeit hat eine nicht-„woke“ Sprache als Waffe im Kampf gegen Gleichberechtigung und Akzeptanz abweichender Lebensweisen?
Insofern wird „Konform“ zwar auch dem Phänotyp „Alter weißer Mann“ ein paar fröhliche Stunden bereiten, birgt für etwas zukunftsorientiertere Geister (denn bekanntlich kann nichts so bleiben, wie es ist) aber auch die Möglichkeit, die erzeugten Emotionen quasi kathartisch zu kanalisieren und im realen Leben vielleicht etwas entspannter zu reagieren.
Dann braucht es nur noch einen ebenso lustvoll satirischen Roman mit umgekehrter Rollenverteilung, damit auch die, die „sich nicht vorschreiben lassen wollen, wie sie reden dürfen“, endlich etwas lockerer werden und abrüsten, statt in typisch deutschem Autoritarismus doch selbst diejenigen zu sein, die per Gesetz Sprachverbote betreiben wollen.
(TH)
Christoph Straßer: Konform. Roman. 300 Seiten, Adakia Verlag, Leipzig 2023.