Cover von Thea Mengelers "Nach den Fähren"

Nach den Fähren

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Roman von Thea Mengeler

„Einige Verluste“ lautet die erste Überschrift in Thea Mengelers zweitem Roman. In „Nach den Fähren“ erzählt sie von Abwesenheit, von Mangel, von der Unvermeidbarkeit des Vermissens. Und doch ist es die Geschichte einer Ermächtigung.

Auf einer Insel bleiben seit Jahren die Urlaubsgäste aus. Die übrig gebliebenen Bewohner:innen gehen noch immer denselben Routinen nach. Der Hausmeister kümmert sich um die Zimmer im Sommerpalast. Die Frau des Generals pflegt den General. Die Doktorin liest am Strand.

Dann taucht Ada im Sommerpalast auf und stellt dem Hausmeister Fragen. Wie war es früher, will sie wissen, aber vor allem: Wem gehört die Insel? Damit stößt sie einen Wandel an, den der Hausmeister in die Gemeinschaft trägt.

Mengeler erzählt von den schmerzlichen und den schönen Erinnerungen, die diesen Prozess begleiten, von dem Versuch, Veränderung zu erreichen und den Spannungen, die dadurch aufkommen, stetig und ruhig. Sie hält eine respektvolle Distanz zu ihren Figuren, von denen außer Ada keine einen Namen trägt. Sie gibt ihnen Zeit, nachzudenken und sich zu entfalten.

Denn die Bewohner:innen haben vieles nicht, aber Zeit haben sie im Überfluss. Und so hinterfragen sie, was es bedeutet, Zimmer in Stand zu halten, die niemand bezieht, erinnern sich an Wünsche und Träume und bauen sich ein Leben auf, das ihren heutigen Bedürfnissen entspricht. Dafür nehmen sie auch den Unmut derjenigen in Kauf, die an der Vergangenheit festhalten und auf ihre Wiederkehr hoffen.

Man kann diesen Roman ganz konkret lesen als eine kunstvolle Anklage des Tourismus, der als wichtigste Einnahmequelle im Mittelmeerraum gleichzeitig Segen und Fluch ist. Man kann ihn aber auch allegorisch lesen und sich dieselben Fragen stellen, die Ada dem Hausmeister stellt: Wie war es früher? Wem gehören die Orte, an denen ich mein Leben verbringe? Womit verbringe ich mein Leben und würde ich es vielleicht lieber anders verbringen?

„Nach den Fähren“ lädt uns ein, innezuhalten, nachzudenken und genau hinzusehen – ein Merkmal großer Literatur.

(MJ)

Thea Mengeler: Nach den Fähren. Wallstein Verlag, Göttingen 2024.

Veranstaltungstipp: Die Autorin kommt am 19. März zu einer WESTWERK-Doppellesung mit Simone Atangana Bekono nach Krefeld.

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