Cover von Hans Neuenfels' Buch "Fast nackt"

Fast nackt

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Letzte Texte von Hans Neuenfels

Im Februar dieses Jahres ist er mit 80 Jahren in Berlin verstorben. Der in Krefeld geborene Hans Neuenfels war einer der bedeutendsten Regisseure des deutschsprachigen Theaters, zunächst nur im Schauspiel, dann aber auch in der Welt der Oper. Seine Inszenierungen waren oft für Skandale gut, um dann später doch Kultstatus zu erlangen. Durch eine Nierenkrankheit war er in seinen letzten drei Lebensjahren stark eingeschränkt, rang dieser Zeit, in der er sich dreimal die Woche für jeweils vier Stunden einer Dialyse unterziehen musste, aber noch zwei Inszenierungen ab ‒ und dies: „Fast Nackt“ heißt sein Buch, das posthum erschien und laut Untertitel „Letzte Texte“ versammelt.

Elke Heidenreich, Journalistin und Literaturkritikerin, hat einen Nachruf beigesteuert, neun erzählende Texte und ein Vorwort von Neuenfels sind enthalten, 21 Gedichte und eine Bildstrecke mit bisher unveröffentlichtem Material. Die Texte sind teils Überarbeitungen von älteren Werken aus der „Schublade“, wie Heidenreich schreibt, da wären editorische Anmerkungen hilfreich gewesen, geschenkt.

Der einleitende Text „Fast Nackt“ und „Dialyse“ zum Schluss sind eindeutig den letzten Lebensjahren zuzuordnen, bilden eine Klammer. In „Fast Nackt“ schreibt Neuenfels zu Beginn: „Die einzige Distanzierung, die er fand, war, das Ich in ein Er zu verwandeln“, und dieses Er nennt der Autor Johannes.

Die Arbeit am Text gehört zu den Bemühungen, sich nicht ganz der Krankheit zu ergeben: „Nur das Festhalten seines Zustands und die daraus sich ergebenden Assoziationen sollte er unbedingt fortführen.“ Das zwinge ihn dazu, „die dumpfe Sinnlosigkeit in einen helleren Überblick zu zerren“.

Der Leser begegnet Neuenfels mit seinen der Krankheit geschuldeten Selbstzweifeln und Ängsten, dabei wird der Autor niemals larmoyant. Mit seinen „Assoziationen“ springt er auch zurück in die Kindheit am Niederrhein, zur geliebten Mutter und dem deutlich weniger geachteten Vater. Der in Düsseldorf arbeitende Oberregierungsrat hält die „Fantasterei“ seines früh für die Kunst begeisterten Sohnes für „Dummheit“.

Neuenfels hält dem entgegen: „Eben, weil er die Wirklichkeit so genau sah, hasste … er sie“, und: „Die Wirklichkeit, das Unverrückbare, war ihm immer ein Gräuel gewesen.“ Sein künstlerisches Talent sieht der „Durchschnittsmensch mit einer Leidenschaft für Musik und Literatur“ darin, diese „auf der Bühne … (den) Zuschauern mitzuteilen“. Und die „tatsächliche Welt“? Die versuche er dort, „mit Spiegelungen, Täuschungen, Irreführungen, Übertreibungen und unmittelbaren Benennungen zu konfrontieren und aufzureißen“. Der Enkel kommentiert anrührend: „Du kannst eine Sache gut, eine einzige, die Sache im Theater …“

Neuenfels ist neben seiner Theaterarbeit immer auch Autor gewesen. Erinnert sei etwa an seinen Roman „Isaakaros“ (2001) oder die Autobiografie „Das Bastardbuch“ (2011), für die er 2012 den Niederrheinischen Literaturpreis der Stadt Krefeld erhielt. Er beherrschte das Fabulieren jenseits der Routine, weil er auch beim Schreiben ein Fragender blieb, wie es vor allem „Fast nackt“ beweist.

Seinen Sinn für Komik kann man in der Erzählung „Sieg“ bewundern, in der eine Witwe die Enge ihres kleinbürgerlichen Lebens ausgerechnet mit rheinischem Sauerbraten überwindet – wie, das sei hier nicht verraten. In „Duisburg in New York“ erfindet Neuenfels ein proletarisches Alter Ego, das wie er aus der Enge des Niederrheins aufbricht, dem aber ein wenig zu sehr die Schlauheit seines Autors anhaftet.

Im abschließenden Text Dialyse heißt es: „Die Dialyse ist brutal in ihrer Enge und Ausschließlichkeit.“ Aber am Ende steht dort: „Ich bin noch unterwegs. Es ist noch nicht Nacht.“ Neuenfels hatte sich noch nicht aufgegeben, die Auseinandersetzung mit sich selbst über das Schreiben mag dazu beigetragen haben. „Geh nicht aus dem Haus/Geh über die Wolken“, heißt es in einem seiner Gedichte. Allen Fans des Regisseurs Neuenfels, aber auch den Freunden guter Literatur sei „Fast nackt“ wärmstens empfohlen.

(kMs)

Hans Neuenfels: Fast nackt – Letzte Texte, mit einem Nachruf von Elke Heidenreich. Eisele Verlag, München 2022.

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