Gedichte von Wolfgang Schiffer
Nicht selten sind es die kleinen Bücher, über die man am längsten nachdenkt, deren Gedanken, Bilder und literarische Form einen nicht loslassen. Wolfgang Schiffers Gedichtband ist ein solches Buch. 60 Seiten dünn, mit viel Weißraum – schnell gelesen, nicht mehr zu vergessen.
Die Texte verbinden eine bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurückreichende niederrheinische Vergangenheit mit unserem globalen Heute, den selbstkritischen Rückblick auf die Biografie (die eigene und die der Familie), den Zorn und die Enttäuschung über den Zustand unserer Welt, auch die Frage, ob man denn genug dagegen getan hat. Sieben Kapitel hat das Buch, eines für jeden Tag. Stets eingeleitet durch eine meist erinnernde kurze Prosaminiatur, folgen hochsprachlich sowie in einer Rekonstruktion des Lobbericher Platts aufgeteilt Listen, was es am Niederrhein der 50er Jahre zu welcher Tageszeit zu essen gab. Dann ein Langgedicht, das die Zeiten durchschreitet und zunehmend in die Gegenwart drängt, dabei zum wütenden und traurigen Lamento wird, bis sich der Leser kurz fragt, ob es noch Gedicht ist oder „nur noch“ politische Rede – aber da kommt schon der Dichter um die Ecke und stellt die Frage im Text selbst, und so zeigt sich die moderne Literatur in ihrer ganzen Vielfalt, denn sie ist alles das.
Sehr hat den Leser der Rückblick auf die Eltern berührt, geprägt von einer Spiegelung der Zuneigung, Zugehörigkeit und Verständigung, die das lyrische Ich früher erfahren hat, und auch nachträglich Gerechtigkeit schaffend. Zudem ist der Band im besten Sinne Heimatliteratur. Die Zusammenführung dieser unterschiedlichen Textarten evoziert auf geradezu geheimnisvolle Weise Eigenheiten und Erfahrungen des Niederrheinischen, mit denen man sich ohne Tümelei verbunden fühlen kann.
Wolfgang Schiffer, 1946 in Nettetal geboren, viele Jahrzehnte verantwortlich für das WDR-Hörspiel und die Wortredaktion, schon früh in verschiedenen Gattungen als Autor aktiv, hatte sich in den letzten Jahren vornehmlich mit seinem Freund, dem isländischen, in Düsseldorf lebenden Künstler Jón Thor Gíslason, der Übersetzung isländischer Literatur gewidmet. Wie gut, dass Verleger Dinçer Güçyeter nicht locker gelassen hat, bis Schiffer den lange versprochenen Gedichtband geschrieben hat. Jetzt ist er da und bleibt.
Wolfgang Schiffer wird im Mai im Niederrheinischen Literaturhaus zu Gast sein. Wir freuen uns sehr auf ihn!
Wolfgang Schiffer: Dass die Erde einen Buckel werfe. Elif Verlag, Nettetal 2022
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