Roman von Sascha Reh
Zu schnelles Fahren und blinde Wut – auf den ersten Blick sind das die zentralen Themen in Sascha Rehs neuestem Roman „Raserei“: Der Reiseblogger und Familienvater Jonas Nimrod verliert durch einen Autounfall, verursacht von Anwalt Radomir Milić, Frau und Kind. Als dieser aufgrund seiner Beziehungen in unlautere Kreise ungestraft davonkommt, mobilisiert Nimrod seine Social Media-Anhängerschaft, um den Raser doch noch dranzukriegen.
Das ist aber nur der Anfang einer Geschichte voller unerwarteter Wendungen, die uns der in Duisburg geborene Autor und Träger des Niederrheinischen Literaturpreises 2011 erzählt. Der Scherenschnitt „guter Familienvater, böser Clan-Anwalt“ stellt sich schnell als unzureichend heraus: Jonas Nimrod versinkt in eine aus Ohnmacht gespeiste Wut, die nicht nur ihn selbst, sondern auch seinen verbliebenen Sohn in Gefahr bringt. Radomir Milić, gezeichnet als kühl berechnender Anwalt, ist selbst eine Schachfigur im Spiel mächtigerer und skrupelloserer Player, die schließlich auch seine überzeugendsten Lügen durchschauen.
Trotz der verschwommenen Grenzen gibt es klare Abstufungen der Schuld im Roman, ohne dass diese mit dem Holzhammer vermittelt würden. Anders als sein Vorgänger „Großes Kino“ ist „Raserei“ nicht aus Sicht einer allwissenden Erzählinstanz, sondern aus Perspektive der zwei Hauptfiguren geschrieben. Auf diese Weise lässt der Autor die beiden Stück für Stück mehr über ihr Innenleben verraten – über ihre Vorurteile, ihre blinde Flecken, ihre Vergangenheit.
Denn letztendlich ist „Raserei“ ist nicht nur ein Buch über Wut, sondern vor allem über Mitgefühl, das die Lesenden mit existenziellen Fragen konfrontiert: Wer steht uns wirklich nah? Wie reagieren wir auf den Verlust anderer? Und vor allem: Wie weit sind wir bereit zu gehen für Vergeltung, wenn Vergebung uns unmöglich erscheint?
(MJ)
Sascha Reh: Raserei. Schöffling & Co., Frankfurt am Main, 2022.