Lyrikband von Johanna Hansen
Auf ihren Schaffensprozess angesprochen, erzählt die in Kalkar geborene Lyrikerin und Künstlerin Johanna Hansen in Interviews, dass sie malend schreibt und schreibend malt. Insofern ist es keineswegs ungewöhnlich, dass sie auch für „Mondhase an Mondfisch“ beide Kunstformen kombiniert hat. Und doch beeindruckt das Werk gerade dadurch, wie viele Verbindungen sie zwischen und über Lyrik und Malerei herstellt, die sich auch auf thematischer Ebene widerspiegeln.
Das Langgedicht „Mondhase an Mondfisch“ wird begleitet von und ist eingebettet in Malerei, die auf eine Partitur der Kinderszenen und anderer Klavierstücke des Komponisten Robert Schumann aufgetragen wurde. Dadurch geht das Werk nicht nur eine Verbindung zu einer weiteren Kunstform, der Musik, ein. Die Partitur war auch der Ausgangspunkt für Hansens Auseinandersetzung mit der Liebesgeschichte von Schumann und der Ausnahme-Pianistin Clara Wieck. Sätze aus deren Briefwechsel wurden zu Überschriften und Versen in diesem Band, den Hansen im Nachwort einen „Versuch über die Liebe (in schwierigen Zeiten)“ nennt.
Die schwierigen Zeiten für Schumann und Wieck bestanden darin, dass Wiecks Vater ihre Verbindung verbot, so dass sie sich lange nur auf Distanz lieben konnten. Hansen überträgt dieses Motiv auf die Gegenwart, wo Verse wie die folgenden unsere kollektive Pandemieerfahrung erkennbar werden lassen:
da / wo keine diagnose hinreicht und kein spielsaum / wo ich ungeschickt weg will vom weg abkomme / mich zurechtzimmere und nicht weiß wohin / wo ich mich verheddere beim datenstreaming // bin ich vernarrt in voraussagen über armlängen / atme klaustrophobisch
Keineswegs bleibt Hansen bei Unsicherheit und Verzweiflung stehen. Stattdessen wird das Motiv zu einer Chance, dem Band über die titelgebenden Wesen eine mythische und eine ökologische Ebene zu verleihen. Der Mondhase, eine Figur aus in Asien und Lateinamerika verbreiteten Mythen, und der Mondfisch, ein lebendes Fossil, die in Weltall und Ozean weit voneinander entfernte Lebensräume bewohnen, begegnen sich auf den Seiten der Partitur.
Die Hoffnung, die dieser Verbindung über größtmögliche Distanz innewohnt, ist vielleicht einer der Gründe, weshalb das Literaturhaus Stuttgart die beiden von der Lyrikerin eingesandten Worte in das „Lexikon der schönen Wörter“ aufnahm, in dem während der Pandemie Begriffe versammelt wurden, die trösten und Zuflucht geben.
Am Donnerstag, den 26. Oktober um 19:30 Uhr ist Johanna Hansen bei unserer WESTWERK-Doppellesung im Pausenhof zu Gast. Dort kommt sie mit dem Lyriker Christoph Danne ins Gespräch über Themen, die auch seinen Band „Solo für Phyllis“ prägen: Liebe, Angst und Trost.
(MJ)
Johanna Hansen: Mondhase an Mondfisch, WORTSCHAU VERLAG, Neustadt an der Weinstraße 2021.