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Poesiefestival im Stadtbad 2024
Open Air-Festival (bei Regen in der Turnhalle Gerberstraße)
„Poesie im Stadtbad“ war für uns eines der schönsten und überraschendsten Ereignisse im Programm 2022. Dass sich die vorgelesenen Gedichte, ihr Klang und Rhythmus und das Schwebende der Verse auf fast traumhafte Weise so mit dem freischwimmer-Areal verbanden, mit den Pflanzen und Bäumen, dem Wasser in den Schwimmbecken und den mit Erinnerungen gesättigten Bauten, das war einfach ganz außergewöhnlich. Und darum also: Herzlich willkommen zum „Poesiefestival im Stadtbad 2024“.
Wieder haben wir fünf hervorragende zeitgenössische Lyriker:innen eingeladen, die am verwunschensten Ort der Krefelder Innenstadt aus ihren neuen Büchern vortragen. Und mehr noch: Zwei von ihnen haben sogar eigens für uns Gedichte zu Stadtbad und Südstadt geschrieben.
Das Programm:
17:30 Einlass
18:00 Hung-min Krämer: „Das ergibt sich dann“
18:45 Adrian Kasnitz: „Im Sommer hatte ich eine Umarmung“ / „Punkte und Linien“ – Krefeld-Gedichte
19:30 Mariam Meetra: „Ich habe den Zorn des Windes gesehen“
20:15 Sabine Schiffner: „Wundern“ + „SAMT UND SEIDE“-Gedichte
21:00 Tim Holland: „wir zaudern, wir brennen“
Im letzten Herbst durchwanderten die beiden Kölner Autor:innen Sabine Schiffner und Adrian Kasnitz das Quartier. Am 24. August lesen sie nicht nur aus ihren aktuellen Gedichtbänden „Wundern“ (Quintus Verlag) und „Im Sommer hatte ich eine Umarmung“ (parasitenpresse) vor, sondern erstmals auch die nach ihrem Krefeld-Besuch entstandenen Gedichte. Bei Schiffner tritt der Kaiser auf, lacht Baby Beuys und vermischten sich im Freibad plötzlich auf märchenhafte Weise Vergangenheit und Gegenwart. Währenddessen mäandert Kasnitz durchs Viertel (kronkorken, portionsflaschen, klopfer / shots über den boden verstreut wie an karneval / an guten tagen), um schließlich am Grund des Schwimmbeckens ins Freie zu tauchen.
Eröffnet wird das Programm von der Wuppertaler Lyrikerin Hung-min Krämer. Ihr neuer Gedichtband „Das ergibt sich dann“ (ELIF-Verlag) macht da weiter, wo ihr Debüt „Alles außer Haiku“ 2019 aufgehört hat, also mittendrin. Diese neuen Texte schauen durch die Ozonlöcher des Unbewussten in die Welt, und die Welt schaut zurück. Immer genauer justieren sie die Lage, doch die Lage ist das, was sich nicht justieren lassen will. Vor diesem Paradox finden Hung-min Krämers Gedichte neue Wege zwischen Gelassenheit und Revolte. Und sie bringen ihre Verbündeten mit: Komm Wind / streichle meine brennenden Augenlider / und trage den Mittag hinaus. „In den ingesamt 89 kurzen Gedichten spielt der Humor eine große Rolle“, schreibt Claudia Cosmo in ihrer WDR-Rezension. Ein Humor definitiv nicht ohne lakonische Schärfe, ergänzen wir und freuen uns drauf.
Eine zweisprachige Begegnung mit persischer Lyrik von heute: „Zärtlich und leidenschaftlich ist die Lyrik von Mariam Meetra, die es versteht in schlüssigen Metaphern und Bildern das auszudrücken, was sie fühlt, nämlich nicht mehr und nicht weniger als die schmerzvolle Abwesenheit von Vertrautheit“, zeigte sich WDR-Rezensent Matthias Ehlers beeindruckt und ergriffen nach dem Lesen des ersten in Deutschland veröffentlichten Gedichtbandes der afghanischen Autorin. „Ich habe den Zorn des Windes gesehen“ (Wallstein Verlag) versammelt Gedichte, in deren Zentrum die Erfahrungen von Flucht und Exil stehen.
Kabul, die »traurigste Stadt der Welt«, kann das „Ich“ dieser Gedichte aus der Ferne nur noch erinnern und schreibend rekonstruieren, und es wirft die Frage auf, ob Heimat überhaupt ein Ort sein kann, »darin zu leben«. Warum sich dort zumindest momentan nicht leben lässt, zeigen die berührenden Verse über Krieg und Unterdrückung von Mädchen und Frauen. Gleichzeitig erwecken sie aber auch auf zärtliche Weise die Schönheit dieses Ortes.
Zum Abschluss unserer Poesie im Stadtbad nimmt uns der Berliner Lyriker Tim Holland auf einen in der Zukunft spielenden Roadtrip mit: Die Sonne tuts nach wie vor, das Wasser steigt unaufhaltsam, in New York baut man Wolkenkratzer als Staudämme und in Berlin wird das erschöpfte Bundeskanzleramt von einem Kollektiv übernommen, das sich der Teilhabe aller verschrieben hat. Es sind die aktuellen klimatologischen, technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, denen sich „wir zaudern, wir brennen“ (Matthes & Seitz Berlin) mit poetischem Eifer stellt und dabei Antworten zu finden sucht auf Fragen wie: Wie kommen wir zu einem neuen »wir«? Wie oft muss man Revolution geübt haben, bevor man sie ausführt? Und wie können Menschen, Tiere und Pflanzen gleichberechtigt zusammenleben?
In diesem Langgedicht, Trotzgesang, einer Hymne der Wellen, in poetischen Manifesten, Berichten von Heimlichtuereien und einigen Notizen zu neuen Wesen erkundet Tim Holland eine Zukunft, die möglich, wenn nicht sogar notwendig ist. Welcher Ort wäre dafür besser als das utopisch so aufgeladene „freischwimmer“-Gelände.
Mehr zu den auftretenden Lyriker:innen
Hung-Min Krämer wurde 1965 in Tübingen geboren und lebt seit 2017 in Wuppertal. Sie schreibt Lyrik und Prosa. »Das ergibt sich dann« ist ihr zweiter Gedichtband im Elif Verlag nach ihrem Debüt »Alles außer Haiku« (2019). 2000 erhielt sie zusammen mit Nika Bertram das Rolf-Dieter Brinkmann Stipendium der Stadt Köln
Adrian Kasnitz, 1974 an der Ostsee geboren, aufgewachsen in den westfälischen Bergen, Studium in Köln und Prag, lebt als Schriftsteller, Verleger, Herausgeber und Veranstalter in Köln. Seit 2019 kuratiert er im Team das Europäische Literaturfestival Köln-Kalk (ELK). Von ihm erschienen zuletzt die Gedichtbände Kalendarium #1 bis #8 (parasitenpresse 2015–2022), der zweisprachige Prosaband Pierre Huyghe hired me (parasitenpresse 2019) sowie der Roman Bessermann (Launenweber 2017). 2020 wurde er mit dem Dieter-Wellershoff-Stipendium der Stadt Köln ausgezeichnet.
Mariam Meetra, 1992 in Baghlan, Afghanistan geboren, lebt in Berlin. Sie studierte Journalismus und PR in Kabul und schloss einen Master in Sozialwissenschaften an der Humboldt Universität zu Berlin ab. Gegenwärtig arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Leipzig und ist literarische Kuratorin für die Deutsche Welle und das Beethovenfest in Bonn. 2023 wurde sie mit dem Chamisso-Publikationsstipendium ausgezeichnet. Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin ist Mitglied des afghanischen PEN. 2013 erschien ihr erster Lyrikband »Leben am Rand« auf Persisch. „Ich habe den Zorn des Windes gesehen“, ihr erster Gedichtband in deutscher Sprache, wurde aus dem Persischen übertragen von Ali Abdollahi, Susanne Baghestani, Sylvia Geist und Kurt Scharf.
Sabine Schiffner, 1965 geboren, lebt als Schriftstellerin und Übersetzerin in Köln. Sie studierte Theaterwissenschaften, Germanistik und Pädagogische Psychologie in Köln, war Mitglied des Schauspielensembles am Kölner Schauspielhaus und arbeitete als Regisseurin, Lektorin und Übersetzerin. Sie ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und hat zahlreiche Preise und Stipendien erhalten, u. a. Jürgen-Ponto-Preis für das beste Romandebüt, Kindbettfieber (2005), Aufenthaltsstipendium in der Villa Aurora/L. A. (2006), Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung Weimar (2014), zuletzt das Aufenthaltsstipendium im Atelier Galata/Istanbul (2021 und 2022). Ihre Gedichte wurden in viele Sprachen übersetzt, u. a. ins Englische, Italienische, Katalanische und Georgische. 2023 erschien ihr Roman „Nachtigallentage“ (Quintus Verlag).
Tim Holland, 1987 in Tübingen geboren, studierte nach einer Ausbildung zum Buchhändler am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Im Frühjahr 2016 erschien sein Debüt vom wuchern im Gutleut Verlag. Seit 2017 leitet er gemeinsam mit Tristan Marquardt und Hannes Munzinger den hochroth Verlag München. Zuletzt gab er zusammen mit Lukas Dubro „Kollaps und Hope Porn – 13 Zukunftsaussichten“ heraus (Maro Verlag). Er lebt in Berlin.
Veranstaltet von
Niederrheinisches Literaturhaus. In Kooperation mit freischwimmer e.V.
Eintritt
frei. Stattdessen sind Spenden für den freischwimmer e.V. sehr willkommen!
Foto/Fotos: © Anna Schwartz (Krämer), Dirk Skiba (Kasnitz), Heike Steinweg (Meetra), Lisa Sanat (Schiffner), Simon Grunert (Holland), Reinhold Janowitz (Stadtbad)